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Wie frei sind wir wirklich?

Ich weiß nicht, wie oft ich dieser Frage schon begegnet bin. Eigentlich sollte man ja meinen, wir sind ziemlich frei in unseren Entscheidungen, können tun und lassen, was wir wollen - solange wir uns im Rahmen der Gesetze bewegen und niemandem dabei Schaden zufügen. Ob dies überhaupt möglich ist oder nicht, sei mal dahin gestellt. Es kommt insgesamt ja auch darauf an, wie kleinlich man dabei ist. Klar, töten sollte man nicht, darüber sind sich vermutlich viele Menschen einig, wenn man sie mal fragt. Aber je nachdem, wen man fragt, tötet jeder von uns. Selbst wer sich rein pflanzlich ernährt, kommt nicht umhin, für sein eigenes Leben zu töten. Und schauen wir uns mal eine abstraktere Ebene des Tötens an. Wie viele unserer oder anderer Träume haben wir schon zerstört. Und das ist die eigentliche Frage, die mich gerade beschäftigt: Was geben wir für andere auf?

 

Vielleicht denkt ihr darüber nach und ihr gebt zu, dass ihr vielleicht das eine oder andere Reiseziel für euren Partner auf der Prioritätenliste weiter nach hinten geschoben oder einen Kompromiss in der Kindererziehung geschlossen habt. Ihr besitzt keinen Hund, weil der Partner oder die Kinder eine Allergie haben und gebt euch schließlich damit zufrieden, jeden Tag einen Wellensittich durch die Wohnung flattern zu hören oder dem ewig stummen Kreis der Goldfische im Aquarium zu verfolgen. Sowas ist vermutlich weitend normal und gar nicht mal so schlimm. Das sind Dinge, für oder gegen die ihr euch bewusst entscheidet, weil ihr die Bedürfnisse von anderen über eure stellt - oder entsprechende Beziehungen bewusst beendet, wenn ein Kompromiss keine Option ist.

Wie sieht es aber mit einem selbst aus? Wie frei ist man wirklich in seinen Entscheidungen? Ich habe gemerkt, dass nicht nur sehr viel Mut, sondern auch Ausdauern und ein entsprechendes Selbstbewusstsein dazugehören, wenn man sich selbst verwirklichen möchte. Vor allem, wenn das eigene Leben in den Augen der anderen vollkommen anders als deren Erwartungen ist. Menschen, die nichts mit euch zu tun haben, die ihr vielleicht noch nicht einmal persönlich kennt, beeinflussen zutiefst persönliche Entscheidungen - dabei ist es vollkommen gleichgültig, wie zufrieden oder glücklich ihr mit eurem Lebensstil seid.

Mein Leben - meine Entscheidung

In meinem Alter habe ich noch Glück. Mit Mitte Zwanzig macht man sich vielleicht schon mal Gedanken, wann und mit wem man eine Familie gründen möchte. Will man gar keine Kinder, heißt es von allen Seiten: Das wird schon noch. Du hast ja noch Zeit. Warte ab, der Kinderwunsch kommt noch ... Nein! Den gab es bei mir nie und wird es wohl auch nie geben.

 

Die Berufswahl: das leidige Thema seit Jahren. Mir war schon immer klar, ich möchte Autorin sein, dass ich irgendwann mal davon leben werde, stand nie außer Frage für mich. Aber erklär das mal anderen Leuten, die keine Ahnung davon haben - die dich vielleicht nicht einmal kennen, obwohl es deine Verwandten sind. Vielleicht muss ich mich einfach damit abfinden, dass ich kein Verständnis für meinen Lebensentwurf von vielen Menschen bekomme. Is einfach so ...

 

Schlimmer ist es bei Dingen, die fast religiös anmuten zum Beispiel der Ernährung. Im Moment wird ja auf jeden geschossen, der sich egal in welcher Weise zu seiner Einstellung gegenüber seiner bevorzugten Ernährungsgewohnheit äußert. Da kommen selbsternannte Experten und wollen einem erzählen, was gesund ist und was nicht. Wenn man sich diese Leute aber anschaut, rennen sie selbst von einem Arzt zum anderen, haben Gewichtsprobleme oder andere Begleiterscheinungen ihres ach so gesunden Lebensstils.

 

Offensichtlicher ist die Körpergestaltung. Man muss nicht einmal was sagen und es geht los. Dasnfängt bei Sport an und hört bei Bodymodification auf. Überall wird gesagt, jeder wie er will, aber insgeheim gibt es doch die Kommentare über das Aussehen der anderen. Ob man dick ist oder dünn, viele Piercings oder Tattoos hat, sportlich das letzte aus sich herausholen will oder sich besonders freizügig kleidet (ob man die Figur dazu hat oder nicht ist dabei doch völlig egal). Man wird sofort in eine Schublade gesteckt und abgestempelt. Selbst mir mit nur einem (!) Tattoo ist das passiert. Seit sieben Jahren wohne ich nun schon nicht mehr zu Hause und bin bisher immer allein klar gekommen. Als mir meine Oma ein bisschen Geld zugesteckt hat (20 Euro) passierte das mit den Worten "aber lass dich davon nicht tattoowieren." Einerseits finde ich es traurig, dass ich selbst innerhalb meiner Familie in eine gewisse Schublade gesteckt werde, obwohl sie es eigentlich besser wissen sollte (sie spielt in einer Band, in der die Jungs längere Haare haben als sie selbst = sie gerät bestimmt auf die schiefe Bahn mit Drogen und so), andererseits echt unterhaltsam, dass meine Oma glaubt, dass ich mir mit 20 Euro den gesamten Körper mit Bildern zupflastern könnte und mir überhaupt nichts besseres einfällt, was ich damit anstellen kann - in der Situation mir was zu essen kaufen zum Beispiel, weil ich zu der Zeit echt knapp bei Kasse war. Nicht wegen dem Tattoowieren *Augen roll*.

 

Natürlich werde ich mir durch solche Aussagen nicht mein Leben vorschreiben lassen, eigentlich liebe ich es sogar, durch meine doch recht auffällige Frisur von anderen angeschaut zu werden. Es sind keine komischen oder verwunderten Blicke, sondern eher interessierte. Nur einmal in der Bahn ist es mir passiert, keine Ahnung, ob es an meinen Haaren, meinem Tunnel (der echt nicht auffällig ist, weil ich eher Plugs trage) oder meinem Tattoo lag, dass eine Frau sich abfällig darüber geäußert hat. Es war mir herzlich egal.

 

Klar, man muss nicht alles gut finden, was andere machen, aber jede negative Bemerkung geht nicht spurlos an einem vorbei, besonders dann, wenn man jünger ist oder sich noch in einen bestimmten (Lebens-)Stil einfinden muss. Mit der Zeit (und dem Alter) wächst natürlich das Selbstbewusstsein und man nimmt gegenüber haltloser, negativer Kritik eine aufrechtere Haltung ein. Aber bis dahin ist es ein schwerer Weg.

Politik und so

Keine Angst, das hier soll nur ein kleiner Ausbruch sein, zu dem meine Gedanken abgeschweift sind.

 

Schwer ist es bei Dingen und Entscheidungen, die von anderen getroffen wurden, die die Persönlichkeit einschränken. Ich denke, wir alle wissen, was derzeit auf der Welt los ist. Meinungsfreiheit zum Beispiel ist ein sehr schönes Ding und ich bin froh, dass ich unter diesem Aspekt in Deutschland lebe. Allerdings geht (nicht nur politisch) da das Problem auch schon los. Sollte man, nur weil es die Meinungsfreiheit erlaubt, seine Meinung jedem Menschen an den Kopf knallen? Und was ist überhaupt dieses "Meinung"? Ist Meinungsäußerung, wenn man jemandem sagt, das was du trägst, sieht scheiße aus. Oder gehört schon mehr dazu, wenn man eine Meinung hat? Eine begründete Meinung ist schön, wenn diese nicht nur aus einem Gefühl besteht, denn Gefühle können einen ganz schön in die Irre leiten. Vielen ist klar, dass es einen kleinen aber feinen Unterschied zwischen der Wahrheit und der gefühlten Wahrheit gibt. Allerdings ist es auch nicht so leicht zu fassen, was genau Wahrheit eigentlich ist. Diese Frage würde an dieser Stelle vermutlich auch zu weit führen ... Ganz außen vor gelassen die Frage, was eigentlich damit ist, wenn sich in einer demokratischen Wahl die gewählten Staatsmänner gegen eine gleichgeschlechtliche Ehe stellen. Damit ist man schon wieder in seiner Freiheit eingeschränkt. Und wer sagt, dass man mit dieser Lebensweise andere belästigt und gefälligst Rücksicht auf andere nehmen soll, weil dieser sich peinlich berührt fühlt, wenn zwei Männer sich in der Öffentlichkeit küssen, der sollte gefälligst mal die Arschbacken zusammenkneifen!!!

 

Kommen wir zurück zur eigentlichen Frage. Wir sind unter bestimmten Bedingungen frei, unsere Meinung zu äußern, allerdings glaube ich nicht, dass wir frei in unseren Entscheidungen sind. Wir sind einfach zu geprägt von unserem Umfeld, unserer Erziehung, unserem Glauben und unseren Gefühlen. Dadurch, dass wir einen Willen haben, können wir gar nicht frei sein, solange dieser sich auf andere bezieht: Wir wollen anderen (oder auch nur einem Menschen) gefallen, oder auffallen, wir wollen, dass es anderen gut geht, haben schlicht nicht gelernt, was vielleicht noch möglich ist. Solange wir nicht alles wissen, können wir uns doch auch gar nicht frei entscheiden. Unserer Gehirn beeinflusst unendlich viele unserer Entscheidungen. Es mag Routinen, durch wen oder was auch immer wir diese in unserem Leben manifestiert haben: Warum sonst fällt es uns denn so schwer, endlich abzunehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören? Wir sind gesteuert von Instinkten, ansonsten würde unsere Spezies aussterben, weil wir (oder zumindest der Großteil von uns) verhungern würde oder keine sexuellen Bedürfnisse mehr hätte.

 

Obwohl ich glaube, dass wir nicht wirklich frei sind, glaube ich nicht, dass wir keine Freiheiten hätten. Wie oben beschrieben, haben wir theoretisch ganz schön viele Freiheiten, es kommt auf uns selbst an, wie wir diese nutzen und ob wir das Echo vertragen können.

 

Diese Frage treibt mich immer mal wieder um. Diesmal wurden meine Gedanken durch ein Buch ausgelöst.

Die Vegetarierin - Han Kang

[könnte Spoiler enthalten]

 

Ich bin mir gar nicht mehr sicher, wie ich genau auf Die Vegetarierin von Han Kang aufmerksam geworden bin - auf jeden Fall wurde es eine Zeit lang ziemlich gehypt. Da hat es mich zwar schon interessiert, aber ihr wisst ja, dass ich bei Büchern, die viel Aufmerksamkeit erregen, erst einmal skeptisch bin und mir meine eigene Meinung bilden möchte.

 

Vor ein paar Tagen bin ich beim Stöbern in der Onleihe wieder darauf gestoßen - und klar hat mich der Titel angefixt. Ich selbst ernähre mich seit mehr als drei Jahren vegetarisch und habe mich, ohne den Klappentext zu lesen - wie immer - in das Buch gestürzt. Einzig die Blumen auf dem Cover und die wenigen Seiten (126 - ich hatte mit mehr gerechnet) haben mich ein bisschen verwirrt, aber ich habe das Buch auf mich zukommen lassen.

 

Die Geschichte ist in drei Teile gegliedert - das erwähne ich deshalb, weil alle drei unterschiedliche Emotionen in mir geweckt haben. Im ersten Teil fühlte ich mich sehr verstanden, aber auch geekelt und dadurch in meiner Entscheidung vegetarisch zu leben, ja, mich teilweise sogar vegan zu ernähren, bestätigt. Es geht um eine Frau, die durch einen Traum beschließt, kein Fleisch und keine tierischen Produkte mehr zu sich zu nehmen. Ihr Mann ist wenig begeistert, aber sie ist doch rigoros in der Entscheidung. Diese wird jedoch von ihrer Familie nicht akzeptiert, sie will sie sogar dazu zwingen, Fleisch zu essen.

 

Der nächste Teil ist zu Beginn sehr verwirrend gewesen, und die Stimmung im Buch schlug plötzlich von ekelerregend zu hocherotisch um. Ohne weiter ins Detail zu gehen, war ich hier positiv überrascht. Das, was mich davon abhält, mehr im Genre New Adult zu lesen, ist die Sprache und Ausdrucksweise. Durch dieses Buch bin ich förmlich geflogen, ich fühlte mich in dem Schreibstil und vor allem von der Wortwahl in diesem Teil sehr getragen.

 

Am Schluss wird das Buch sehr verwirrend, weil ich nicht weiß, was genau passiert ist. Es gibt viele Zeitsprünge und wie in den Teilen zuvor einen Perspektivwechsel, wodurch es mir schwerer gefallen ist, der Handlung zu folgen (könnte aber auch sein, dass der Fernseher nebenbei lief und ich recht abgelenkt war). Hier war meine Gefühlslage eher mitleiderregend - und zwar allen Beteiligten gegenüber. Die Protagonistin macht eine sehr krasse Entwicklung durch. Ihre Entscheidung, vegetarisch (vegan) zu leben, wird von keinem Akzeptiert. Mittlerweile vielleicht aus gutem Grund, aber dennoch habe ich höchstes Mitgefühl für sie. Ähnliche Gefühle habe ich auch Will (Ein ganzes halbes Jahr) gegenüber gehabt.

 

Ich bin ein bisschen zwiegespalten: Einerseits frage ich mich, warum es einem Menschen so schwer gemacht wird, Entscheidungen über sein eigenes Leben zu fällen und auch durchzusetzen, andererseits bleibt immer die Frage, wie zurechnungsfähig ein Mensch ist, wenn er für sich entscheidet, nicht mehr leben zu wollen.

Wenn man zwangsweise am Leben erhalten wird, obwohl man keinen Lebenswillen mehr hat, was ist das denn noch für ein Leben. Klar, ich kann die Angehörigen verstehen, niemand will einen Menschen, den er liebt verlieren. Aber welches Recht haben sie, über Leben und Tod zu entscheiden. Es ist für mich ein Zeichen von Respekt, einem Menschen auch solche Wünsche nicht zu verwehren. Es ist ein super sensibles Thema, das weiß ich selbst, und Sterbehilfe ist ja nicht wirklich undiskutiert - und auch mit Zustimmung bleibt es Mord. Darüber steht immer die Frage der Zurechnungsfähigkeit.

 

Aber mal ehrlich: Wann ist ein Mensch wirklich zurechnungsfähig? Ich kann mich heute für Dinge entscheiden, diese morgen aber schon wieder ganz anders sehen. Ich glaube, Selbstmord oder allein der Versuch ist in den seltensten Fällen eine Kurzschlussreaktion. Dem würde schon der Selbsterhaltungstrieb, den jedes Lebewesen hat, entgegen sprechen. Viele sehen vermutlich einfach keinen anderen Ausweg mehr und ich glaube, nicht selten ist es einfach ein letzter Hilferuf, weil alles andere nicht geklappt hat.

 

Wer sich, aus welchen Gründen auch immer, dazu entschieden hat, sollte auch das Recht dazu haben, seinem Leben ein Ende zu setzen. Selbstverständlich sollten andere dabei so wenig wie möglich in Mitleidenschaft gezogen werden - wo wir schon wieder ein Problem hätten: Auch wenn es im stillen Kämmerlein und ohne großes Tamtam passiert ... Irgendjemand wird irgendwann das Selbstmordopfer finden. Heutzutage bleibt ja leider Gottes nichts unentdeckt. Aber ein qualvolles Leben (egal in welcher Hinsicht) zu führen, nicht glücklich zu sein und zu Tode betrübt, nur, um auf andere Rücksicht zu nehmen selbst zurückzustecken, kann es doch auch nicht sein. Oder?

Wie glücklich könnte man sich fühlen, so wie Faust einen Packt mit dem Teufel zu schließen, und im Moment des größten Glücks zu sterben, als nach langer, quälender Krankheit in einem Leben, in dem einen sowieso nichts mehr hält?

 

Was denkt ihr darüber? Darf ein Mensch beschließen, sein Leben zu beenden und dürfen andere Menschen es verhindern?

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