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Big Brother is watching you

Heute ist wieder einer der "ich bin unausstehlich"-Tage. Ich fühle mich doof. Möchte mich den ganzen Tag nur zu Hause verstecken und, obwohl ich eigentlich mal wieder ein Selfie auf Instagram posten könnte, tue ich es heute garantiert nicht. Vielleicht stimmt es wirklich: ich bin unausstehlich. Aber diesmal bin ich bemüht, es nicht ganz so doll zu sein ⎯ ich glaube, es klappt ganz gut. Die schmerzhafte Wahrheit hilft, mich selbst zu reflektieren, aber auch aufmerksam zu sein, denn ich kann und möchte nicht erwarten, dass jeder immer und zu jeder Zeit meine Befindlichkeiten abfedert.

 

Und so verkrieche ich mich heute in meinen eigenen kleinen Kuschelkokon, stapel Bücher um mich herum und mach ein bisschen hier, ein bisschen da was im Haushalt, weil ich weiß, dass ich mich morgen schon besser fühlen werde.

Eine anstrengende Woche liegt hinter mir. Von Montag bis Freitag stand für mich das auf dem Plan, was ich nur als Widernatürlich für mich bezeichnen kann. Frühes Aufstehen. Und damit meine ich nicht sieben Uhr. Das ist auch schon früh genug. Nein, ich meine eine Uhrzeit, zu der ich an manchen Tagen schlafen gehe: 3 Uhr. In Worten: DREI UHR NACHTS! Unfassbar, dass ich die Woche so unbeschadet überstanden habe :D Naja, überstanden ist auch relativ. Immerhin habe ich es geschafft, am Dienstag die ganze Nachbarschaft zu wecken, weil ich im Laden die Alarmanlage ausgelöst habe. Seitdem reagiere ich empfindlich auf alle piependen Geräusche :D Was ich allerdings nicht gedacht habe war, dass sich der Körper tatsächlich ziemlich schnell auf den neuen Rhythmus einstellt und nach dem zweiten Tag völliger Zerstörung ging es wieder aufwärts.

 

Obwohl ich also überhaupt keine Zeit hatte, weil ich von vier Uhr in der Früh bis um zwölf, also 8-Stunden-Schichten hatte, habe ich mir überlegt, vielleicht noch ne fixe Ausschreibung fürs Schreibmeer zu machen. Aus verschiedenen Gründen haben uns ein paar Autoren verlassen und es wurde ein bisschen eng, zumal es immer mal wieder vorkommt, dass jemand nicht kann ⎯ ob wegen Urlaub, Prüfung, Krankheit oder einfach privatem Stress. Aber auch dieser Punkt ist geschafft und wir haben fünf frische Autoren bei uns begrüßen dürfen, über die ich mich sehr freue.

 

In dieser Woche hatte ich auch wieder einen Mind-Fuck-Moment, von dem ich euch unbedingt erzählen wollte. Ich bin ja schon sehr stark an Büchern interessiert, die einen psychologisch-gesellschaftskritischen Hintergrund haben. Besonders viel davon findet man im Bereich der Dystopien, habe ich den Eindruck. Besonders fasziniert war und bin ich immer noch von "Der Circle" ⎯ bald komme ich hoffentlich in den Genuss, den Film zu sehen *hibbel*. Ich kam auch nicht umhin, mir mal ein paar ältere Werke zu Gemüte zu führen. Und so lagen wir abends auf der Couch und ⎯ nicht wegen mir :D ⎯ es lief nebenher Big Brother im Fernsehen. Dass es das Format immer noch gibt, erstaunlich. Für mich fühlt es sich so nach 90er an :D Ich wollte ein bisschen klugscheißen und fragte meinen Liebsten, ob er weiß, warum Big Brother so heißt, wie es heißt. Er so: Klar, weil der Erfinder es so genannt hat. Ich: Ja, auch. *Klugscheißermodus an* Aber der hat sich durch das Buch 1984 von George Orwell inspirieren lassen.

 

*Klugscheißermodus aus*

 

Lesen bildet offensichtlich. Und von dem Prinzip der Überwachung bin ich gegruselt und fasziniert zugleich. Menschen, die online unterwegs sind ⎯ bevorzugt in sozialen Netzwerken ⎯ tun es jeden Tag. Freiwillig. Sie zeigen sich der Welt ⎯ oder einem ausgewählten Personenkreis. Ich habe riesigen Spaß daran, Leute in meinen Instastories mit durch den Tag zu nehmen. Und tatsächlich gibt es Menschen, die gucken sich das an! Ich selbst bilde da keine Ausnahme ⎯ ich bin regelrecht süchtig nach Lebensupdates von Menschen, die ich inspirierend finde und verschlinge alles, was sie im Netz hinterlassen und was für mich zugänglich ist.

 

Schon freaky, oder? Besonders mit der Geschichte um Mae aus "Der Circle" im Hinterkopf. Und bei Big Brother ist es ja nicht anders. Die Menschen spielen eine Rolle, die sie sein möchten ⎯ vielleicht sind sie so gut, dass sie sich selbst glauben und schließlich zu dem werden, wer sie vorgeben zu sein. Auch wenn ich noch so sehr behaupte, ich selbst zu sein ⎯ egal wo ich bin, ob im echten Leben, auf Facebook oder auf Instagram ⎯ so positioniere ich mich doch auf eine gewisse Art. Und mal ehrlich: Niemand will wirklich sehen, wie zerknittert jemand wirklich aussieht, wenn er aus dem Bett steigt. Vielleicht mit Pandaaugen (die kein Filter sind) oder beim morgendlichen Toilettengang. Die sozialen Netzwerke sind die Daily Soaps von gestern. Wir wollen das echte Leben sehen ⎯ nur in schön. Menschen, die wir sein könnten, aber doch den aufregenden, spannenden Teil ihres Alltags. Passend dazu ist auch einer der letzten Artikel aus dem Schreibmeer bzw. Ninas Antwort darauf: Autoren teilen nun mal vieles aus ihrem Schreiballtag. Und wenn es etwas normales ist, was nichts mit dem Autorenleben zu tun hat, wie zum Beispiel, sich beim zocken erholen auch wenn die nächste Deadline in greifbare Nähe rückt, müssen sie dann mit harter Kritik rechnen? Mit dem schlechten Gewissen, das sie einholt? Muss man sich vor dem "großen Bruder", der zuschaut für jeden Pups rechtfertigen? Wäre man überhaupt in der Lage dazu, wenn man als Einzelner von vielen geächtet wird? Ob oder ob nicht. Eins ist klar: Es erfordert eine Menge Mut und Kraft.

 

Und bis dahin läuft in meiner Instastorie weiterhin die heile Welt, während andere Welten zerbrechen und ich still und heimlich in meinem Bett liege und weine und mir die Instastorie von anderen ansehe. Von Menschen, die den Mut haben, ihrer Trauer öffentlich den Raum zu geben, weil sie hoffen, dass sie damit denen, die zuschauen, einen Halt geben können. Und das tun sie! Denn eines sind wir alle, miteinander verbunden, ob wir uns persönlich kennen oder nicht. Unsere Geschichten kreuzen einander und ich bin froh, dass es da draußen Menschen gibt, die Anteil haben wollen an meinem Leben und an dem, was ich tue. Danke!

 

Was ich eigentlich sagen wollte: Es ist toll, dass Bücher einem so viel geben können und dass manche Dinge aus ihnen es in unsere Realität schaffen und Menschen begegnen, die noch nie etwas von dem Buch gehört haben, aus dem es stammt. Das ist für mich wie Magie. Und ich hoffe, eines Tages auch eine solche Magie bewirken zu können.

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