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Tagebucheintrag N°93 | Wenn dein Buch gelesen wird ...

Hallo ihr Lieben!

 

Schon lange habe ich euch nicht mehr berichtet, welche Gedanken mir in der Uni kommen. Einmal habe ich euch berichtet, wie erschreckend es für mich als Autor in einem literaturwissenschaftlichen Studium ist. Welche Angst ich davor habe, dass etwas in mein Buch hinein interpretiert wird, was ich doch so gar nicht sagen wollte …

 

Jetzt geht es wieder um genau dieses Thema und ich hoffe, ich kann es euch verständlich erklären, denn es ist wieder einmal literaturwissenschaftlich.

 

Wenn man Skandinavistik studiert kommt man zwangsläufig mit Henrik Ibsen in Kontakt. Er ist einer der großen, norwegischen Autoren, der um das Jahr 1900 seine Werke geschrieben und veröffentlicht hat. Seit bekanntestes Werk ist sicherlich Peer Gynt und auch Nora kennen einige, die sich nicht mit skandinavischer Literatur beschäftigen. In meinem Norwegischkurs haben wir heute einen Text über Peer Gynt gelesen. Er ist aus einer historisch-biographischen Sicht geschrieben. Der Autor des Textes, um es mit den Worten meines Norwegischlehrers zu sagen, interessiert sich sogar “für die Verdauung von Ibsen”, als dieser Peer Gynt geschrieben hat. Ziemlich unheimlich, aber auch ziemlich verblüffend. Wie kann der Autor interessanter sein, als die Texte, die er schrieb?

 

Eine weitere Sache, die er im Seminar gesagt hat, ging runter wie Honig: “Dichter sind Götter.” (Damit sind alle Autoren gemeint) Wie wunderbar hört sich das denn an? ^^ Diese Richtung der Literaturwissenschaft geht vereinfacht davon aus, dass man den Text eines Autoren nur verstehen kann, wenn man den Autor versteht (was nahezu unmöglich ist, denn ich verstehe mich manchmal ja selbst nicht :D ). Man kann nie genau wissen, was ein Autor mit einem bestimmten Text gemeint hat, denn man wird den Autor nie verstehen, egal, ob man sein Leben inhaliert und ihn vergöttert oder eben nicht.

 

Jedoch hat diese lustige und auch interessante Seite für mich eine ziemlich große Schattenseite. Wie kann ich noch etwas ohne Angst schreiben, wenn alles auf mein Privatleben übertragen wird. Sicherlich bestehen meine Geschichten aus einem Teil von mir, aber eben auch aus Phantasie.

 

Vielleicht versteht ihr so, was ich meine. Es ist beängstigend, dass die Leser durch ein Buch so viel von dem Autor erfahren können. Letztendlich wissen sie aber nicht, was es ist. Vielleicht ist es wie die Geschenke zu Weihnachten als Kind. Man glaubt, sie vom Weihnachtsmann zu bekommen, doch man weiß nicht, was dieser dicke Mann mit dem weißen Bart sich dabei gedacht hat. Das ist auch egal, weil man sich über diese Geschenke gefreut hat.

 

Ein Punkt, der mich an dieser Theorie aber zum Lachen gebracht hat, war, dass der Autor, der über Ibsen schrieb, dessen Briefe zitiert hat. Eine sehr wichtige Quelle für ihn, denn es ist ja spannend, was dieses Genie über seine eigenen Werke gedacht hat. Nun habe ich mir gedacht, was ist den mit Autoren im Jahr 2014? Ich glaube, die wenigsten schreiben Briefe. Alles funktioniert über SMS, Twitter, Facebook und Co. Wird sicher schwer sich durch Milliarden von Twitternachrichten zu wühlen, wenn ich irgendwann man so ein klassischer Autor bin :D

 

Eine andere Art, Literatur zu lesen, entwickelte sich erst nach dem großen Krieg. Es geht darum, nicht mehr den Autor zu sehen, sondern die Geschichte. Der Mann überhaupt ist Roland Barthes; er schrieb den Aufsatz “der Tod des Autors”. Unheimlich, aber für dieses New Criticism gibt es den Autor einfach nicht mehr. Wieder hat mein Norwegischlehrer ein vereinfachtes Modell an die Tafel gekritzelt: Wenn man einen Text versteht, dann lernt man etwas über sich selbst.

 

Im Prinzip ist das Buch tot und wenn man es öffnet, dann fängt es an, durch den Leser zu lesen. Alles, was man liest bezieht man auf sich selbst. Genau so habe ich Klassiker wie Hedda Gabler (Ibsen) und Effi Briest (Fontane) gelesen, aber jetzt auch Die Mechanik des Herzens. Wenn wirklich alle meine Geschichten so lesen, dann bin ich glücklich. Denn ich schwebe nicht in der Gefahr etwas angedichtet zu bekommen, was ich nicht so gemeint habe, und ich kann mit meinen Geschichten helfen, dass mein Leser sich selbst versteht. Meine Geschichten können ihn persönlich weiterbringen, ihm vielleicht sogar einen Weg für sein Leben zeigen, den er allein nicht gefunden hätte …

 

Klar ist es interessant, etwas über den Autor zu wissen, wenn man ein Buch von ihm gelesen und es einem gefallen hat. Geht mir ja auch so. Und ihr habt ja offenbar auch ein Interesse an mir, sonst würdet ihr meinen Blog nicht lesen ;)

 

Das Ganze kann man dann noch ewig so weiterspinnen. Klar sollte ein Autor zu seinen Texten stehen – er hat sie ja geschrieben. Doch wie ist es mit den Autoren, die sich in ein Gebiet vorwagen, das nicht gesellschaftlich vertretbar ist, was ist dann? Dann können wir nicht wissen, was der Autor meint. Dann wird sich die Biographie angeschaut …

 

Das führt alles so unendlich weit. Als Autor kannst du verehrt werden oder gehasst. Du hast die Wahl, ob du für die Masse schreibst, oder du kannst versuchen eine Lücke zu finden, um den Weg für einen neuen Gedanken zu ebnen. Das war übrigens auch ein Thema in einer vergangenen Stunde: Dass Autoren mit ihren Werken theoretisch neue Gedanken durchspielen, um sie den Lesern vertraut zu machen. Und dann sind sie irgendwann gar nicht mehr so fremd …

 

Was sagt ihr zu dem Thema? Wie lest ihr Bücher (ich meine nicht wissenschaftlich für die Uni)? Ist der Autor euch egal oder interessiert ihr euch dafür, wie er auf eine bestimmte Idee gekommen ist? Findet ihr es interessant, wie ein Buch entsteht und sich entwickelt? (ist ja im Prinzip das, was ich euch mit meinem Blog geben möchte) Vermeidet ihr es, Bücher von Autoren zu lesen, von denen ihr wisst, dass sie nicht eure Meinung vertreten?

 

Lasst mir doch gerne eure Kommentare dazu da. Vielleicht könnt ihr mir ja auch ein wenig von meiner Angst nehmen :)

 

Flauschigst, eure Tinka :)

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